Beate Wollmann sitzt meditierend auf einer Wiese

Raus aus dem Hamsterrad!

Es ist geschafft – ein Jahr und 10 Monate, nachdem SAM bei mir zu Besuch war, um mich an meine Träume und Sehnsüchte zu erinnern, um mich aufzuwecken aus dem „Kollektivschlaf“ – bin ich aus dem selbstgewählten Hamsterrad ausgestiegen. Ich habe meine bisherige Arbeitsstelle als Bilanzbuchhalterin in einem internationalen Konzern hinter mir gelassen. Nicht, dass ich falsch verstanden werde; dieser Beruf hat mir mein Leben lang gedient! Ich bin gut mit Zahlen und Buchhaltung ist für mich logisch und auch spannend, da durch Gesetzesänderungen oder firmeninterne Entscheidungen immer wieder neue Herausforderungen auf mich zugekommen sind. Mein Liebster wird, wenn er dies liest, vehement und ungläubig den Kopf schütteln – Buchhaltung ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln und alles andere als spannend. Also für mich war dieser Beruf lange Zeit etwas, womit ich mich und meinen Sohn sehr gut ernähren konnte, er gab mir Sicherheit. Ich stellte diese Tätigkeit nie in Frage und doch kam in den letzten Jahren vermehrt der Wunsch auf, Zeit zu haben.

Zeit, zu reisen. Zeit, zu sein. Zeit, mich zu spüren. Zeit, mich neu zu entdecken. Zeit, mich zu langweilen. Zeit, zu lesen. Zeit, Rezepte auszuprobieren. Zeit, zu stricken. Zeit, zu coachen. Zeit, zu schreiben. Zeit, Beziehung zu leben. Zeit, einen Hund zu haben. Zeit, mich einzubringen. Zeit, zu meditieren. Zeit!!!!!

Ich rannte so viele Jahre gefühlt der Zeit hinterher. Ich hangelte mich von Monatsabschluss zu Monatsabschluss und von Jahresabschluss zu Jahresabschluss und wieder von vorne. „Nach dem Abschluss ist vor dem Abschluss“; dieser Satz war mein Lebensdirigent und zwischen die Abschlüsse habe ich die Menschen und Aktivitäten gepackt, die mir wichtig waren. Und jetzt bin ich frei und habe Zeit. Was für ein Geschenk! Seit zwei Wochen bin ich zu Hause und muss nicht mehr arbeiten, wenn ich nicht will.

Interessant ist, wie mein Umfeld darauf reagiert. Einige sagen, dass sie neidisch sind und auch gerne frei wären. Neid bedeutet ja, der Andere hat etwas, was ich auch gerne hätte. Was kannst du tun, nicht mehr neidisch zu sein? Kümmere dich um deine Wünsche und Sehnsüchte, kein Anderer tut das für dich.

Andere warnen mich und empfehlen mir, dass ich dringend eine Struktur im Leben brauche, mir weiterhin den Wecker stellen soll, einen Rhythmus beibehalten, bzw. finden muss, um mich nicht zu verlieren, um nicht mit Chips auf der Couch bei Netflix zu versumpfen (obwohl das bewusst getan auch mal sehr schön sein kann).  Ich merke, dass mich das irritiert und ich zum Teil aggressiv werde, wenn ich das höre. Ich bin Coach und weiß, wenn mich etwas trifft, betrifft es mich. Habe ich etwa unbewusst Angst davor, keinen Sinn mehr zu finden, wertlos zu sein? Ich würde dies verneinen, wenn man mich fragen würde und doch darf ich reinspüren, warum mich diese Ratschläge und Hinweise triggern.

Wie geht es mir, zwei Wochen nach Beendigung meiner über 40-jährigen Tätigkeit als Buchhalterin? Ich genieße es, keinen Wecker zu stellen. Ich starte meine Tage mit Yoga und/oder Meditation; das habe ich auch vorher schon gemacht. Meine Wäsche ist gebügelt, das war vorher meist nicht so. Ich backe, fahre mitten am Tag in die Stadt, sehe Filme, lese, gehe im Wald spazieren, wirke als Coach und lasse das alte Leben langsam los. Heute Nacht habe ich erneut von der Firma und den Kolleg*innen geträumt und ich löse im Kopf noch immer Buchhaltungsprobleme, bis ich mich erinnere, dass ich nicht zurückgehe und diese Themen für mich Vergangenheit sind. Da ist noch Schwere, die gefühlt werden will. Das ist noch das Alte, das gewürdigt werden will, bevor es geht. Ich nehme mir die Zeit dafür.

Mein Partner ist zur Zeit viel auf Reisen, das hat das Leben wohl so gemanagt, damit ich ohne Ablenkung diese Phase meines Lebens erleben kann. Wer bin ich, wenn das, was ich kannte, wegbricht?

Und gleichzeitig ist da schon die Ahnung des Neuen. Ein Funken, der sich in mir ausbreitet: Freude, Lebenslust, Neugierde. Ich glaube, es braucht diese Stille, dieses frühe dunkel werden, das Alleinsein, damit Neues entstehen kann. Wenn ich diesen Funken wahrnehme (da ist er ja immer), fange ich an zu lächeln.

Fortsetzung folgt….